Kreatives Schreiben

Schon immer waren beim Umgang mit Literatur neben Analyse und Deutung Phantasie und Kreativität ein fester Bestandteil des Deutschunterrichts. Dass nun an Baden-Württembergs Gymnasien das kreative Schreiben als Aufsatzform bis hin zum Prüfungsaufsatz in den Kanon benoteter schriftlicher Arbeitsformen Eingang gefunden hat, ist in zweierlei Hinsicht erfreulich. Erstens wird damit dem eigenen kreativen Umgang mit Sprache und einer literarischen Vorlage ein stärkerer Stellenwert zuerkannt, zweitens wird damit den Schülerinnen und Schülern eine weitere Möglichkeit geboten ihren Lernerfolg auf individuellere, da über weite Strecken kreative Weise, zu demonstrieren.

Dazu kommt, dass hier im Gegensatz zum »normierten Schreiben« dem kreativen Umgang mit einer literarischen Vorlage und den eigenen sprachlichen Möglichkeiten mehr Raum gegeben wird.

Das Folgende erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll - entstanden in der gähnenden Leere der Sommerferien - eher ein paar Möglichkeiten des kreativen Schreibens anreißen. Für Kritik, Anregungen, Vorschläge, eigene Erfahrungen und Konzepte bin ich äußerst dankbar.

Michael Breddin
Michael.Breddin@3b-infotainment.de

Übersicht:
Stand: 09/99

Das »normierte Schreiben«
Das freie kreative Schreiben
Das kreative Schreiben nach einer literarischen Vorlage
    Vorübungen
    Kreatives Schreiben und literarische Vorlage
Bewertung

Das »normierte Schreiben«

Auch das »normierte Schreiben« ist in dem Maße kreativ als es das Gestalten eines eigenen Textes ist. Nur sind hier Form, inhaltliche Versatzstücke und sprachliche Ausgestaltung weitgehend vorgeschrieben, normiert.

Mögliche Formen des »normierten Schreibens« sind u.a.:

Bewerbungsschreiben mit Lebenslauf
Reklamationsschreiben
Geschäftsbriefe
Protokolle
Versuchsbeschreibungen
Beurteilungen, Empfehlungsschreiben

Ein Bewerbungsschreiben, sei es für einen Ausbildungs- oder Praktikumsplatz, lässt wenig gestalterischen Spielraum. Die äußere Form von der korrekten Anschrift, über die Briefgestaltung bis hin zur Gruß- und Anlagenformulierung ist vorgegeben. Dasselbe gilt für Reklamationsschreiben oder Geschäftsbriefe nach Stichworten. Dennoch muss auch diese Art des Schreibens in zunehmendem Maße eingeübt werden. So wird insgesamt gesehen dem »normierten Schreiben« m.E. an baden-württembergischen Gymnasien noch viel zu wenig Bedeutung beigemessen, obwohl es im späteren Leben in aller Regel eine wichtige Rolle spielt und durchaus für den späteren beruflichen Erfolg mit ausschlaggebend sein kann. Vor allem die Fähigkeit einem solchen Standardschreiben eine persönliche Note zu geben ist Schülern in der Regel nicht angeboren, sondern muss erarbeitet und eingeübt werden.
So beklagte sich mein Grundkurs Englisch bitter über eine Klausur, in der nach Stichworten ein Geschäftsbrief auf Englisch zu verfassen war. Die Schülerinnen und Schüler waren fast einhellig der Meinung, dass sie einen solchen Brief nicht einmal in Deutsch abfassen könnten.

Dazu kommt, dass Schülern sehr häufig sowohl der passive wie der aktive Wortschatz für solche Schreiben fehlt.

Bei einer fächerübergreifenden Unterrichtseinheit über die Beschreibung physikalischer Versuche, die eine Referendarin in einer neunten Klasse durchführte, wurde dies besonders deutlich. Die Unterschiede zwischen Umgangs- und Fachsprache wurden in dieser Einheit besonders anschaulich vor Augen geführt wie auch die Notwendigkeit, sich in bestimmten Situationen einer bestimmten Ausdrucksweise zu bedienen. Wie schwierig dies auch für Erwachsene ist, mag das Beispiel mit der Erklärung der Abseits-Regel im Fußball sein oder das Erklären eines Computerprogrammes ohne Demonstrationsmöglichkeit. Wer jemals versucht hat ein Computerhandbuch zu lesen und auf die Informationen angewiesen war, weiß, was hier gemeint ist.

Wie wichtig »normierte Schreiben« sein können, kann man einer Klasse leicht dadurch zeigen, dass man sie Bewerbungsschreiben verfassen lässt und dann den Personalchef eines ortsansässigen Unternehmens bittet diese zu analysieren und zu werten. Auch der umgekehrte Weg ist denkbar: Man lädt einen Personalsachbearbeiter ein und bittet ihn, mehrere Arbeitszeugnisse, Bewerbungsschreiben (natürlich mit gelöschtem Namen und Absender) oder Mitarbeiterbeurteilungen mitzubringen. Vor allem bei Letzterem dürfte es für die Schüler ungemein interessant sein, was sich hinter einzelnen Formulierungen verbergen kann. Auch das Umschreiben einer e-mail Nachricht in einen Geschäftsbrief kann eine erste Einsicht in die Bedeutung und Funktion von Standardschreiben bringen.

Das freie kreative Schreiben

Hierunter sind der Erlebnisaufsatz, das eigene Gedicht, der selber verfasste Leserbrief, eine Reportage, Glosse etc. zu verstehen.

Hier ist fast alles erlaubt. Ein Gedicht muss sich nicht reimen und kein Versmaß haben. Der Leserbrief ist thematisch nur insoweit beschränkt, dass er eine Sache von allgemeinerem Interesse zum Inhalt haben muss. Die Glosse kann über den Widerstand des Gemeinderats in Sachen Jugendraum genau so verfasst werden wie über die auseinander driftenden Ansichten beim Thema »Klassenzimmer – ein Raum zum Lernen und Wohlfühlen«.

Aber erlaubt ist eben auch nur fast alles. Der Erlebnisaufsatz wie die Reportage unterliegen gewissen Regeln. Es gilt hier zunächst Interesse zu wecken. Dann muss eine gewisse Dramaturgie eingebaut werden um den Leser bei der Stange zu halten. Es muss anschaulich und bis zu einem gewissen Grade emotional geschrieben sein. Unfallberichte in französischen Zeitungen vollbringen hier wahre Wunder und können durchaus als Anschauungsmaterial mit eingebaut werden. Vor allem bei der Glosse ist es für Heranwachsende schwierig, den richtigen Ton zu treffen. Bei Ironie tun sich die meisten Jugendlichen schwer.

Aber hier eröffnet sich ein weites Feld eigener kreativer Möglichkeiten. Verschiedene Zeitungsberichte zu einem Thema/Ereignis können als Vorlage für eine eigene Reportage oder eine Glosse sein. Ein Zeitungsinterview kann in einen Bericht umgeschrieben werden, der Vergleich einer Romanvorlage mit der Verfilmung kann zu einem Essay über die Sprache der Literatur und des Films genützt werden, Morgensterns Gruselett kann als vortreffliche Vorlage für eigene sprachliche Experimente dienen.

Nicht zu vergessen ist, dass dieser kreative Bereich selbstverständlich nicht auf sprachliches Gestalten beschränkt ist. In einer Unterrichtsstunde wurden Diarahmen, die entweder mit einer Klarsichtfolie oder einem schwarzen Negativ bestückt waren, ausgeteilt. Jede Schülergruppe (jeweils zwei Schüler) musste nun eine Strophe aus Schillers Bürgschaft bildlich darstellen, entweder mit einem feinen Folienschreiber oder – bei der Negativversion – einer Büroklammer, und das alles begrenzt auf den kleinen Raum eines Dias. Was dabei herauskam war genau so faszinierend wie hervorragend. Auch die Aufgabe mittels Kassettenrecorder den Morgen eines Schülers vom Aufstehen bis zur Ankunft in der Schule rein mit Geräuschen darzustellen führte zu äußerst interessanten Ergebnissen und war eine ausgezeichnete Übung in Reduktion und kreativer Transformation.

Das kreative Schreiben nach einer literarischen Vorlage

»Vorübungen«:

Das kreative Schreiben nach einer literarischen Vorlage dürfte die schwierigste Form der kreativen Eigentätigkeit sein.

Zunächst gilt es die literarische Vorlage genau zu analysieren und zu interpretieren.
- Wie sind die Handlungsorte gestaltet?
- Wie werden Erzählperspektive, Zeit etc. behandelt
- Erzählstil und Sprache
- Wie sind die Personen charakterisiert, wie handeln, sprechen, denken, fühlen sie
- Welche Konfliktkonstellationen liegen vor
- Wie geht der Erzähler mit der Handlung, den Personen um
...

Hieraus ergibt sich, dass in diesem Bereich jede eigene Tätigkeit auf einer genauen Textanalyse und –interpretation beruht – gleichsam eine doppelte Aufgabenstellung, verbunden mit der Schwierigkeit der eigenen Phantasie und Kreativität enge Zügel anzulegen, um die fiktive Stringenz des Textes zu wahren.

Daher erscheint es mir auch sinnvoll zunächst mit kleinen Schritten anzufangen.

Z.B. mit einem »einfachen« Perspektivwechsel.
Hier geht es darum:
- Was ist an Handlung vorgegeben? Wo muss ich selber Handlung dazu erfinden?
- Wie denkt, handelt, fühlt, spricht die Perspektivgestalt?
- Was weiß sie, was nicht?
- Wie steht sie zu den anderen Personen?
...

Gut geeignet ist hier übrigens (für Klasse 8) Jules Verne: Zwei Jahre Ferien, das viele Stellen für einen Perspektivwechsel bietet.

Eine weitere Möglichkeit ist das fiktive Tagebuch. Wie sieht, wertet und verarbeitet eine literarische Figur ein bestimmtes Ereignis? Warum nicht Maria Stuart und Elisabeth ihr Zusammentreffen in einem jeweiligen Tagebucheintrag festhalten und verarbeiten lassen? Auch hier lernen die Schüler zunächst den Text ganz genau zu lesen und die Vorgeschichte, die eigentliche Situation und die handelnden Personen genau zu analysieren und sich in sie, ihre Denk-, Handlungs- und Ausdrucksweise hineinzuversetzen, wobei gerade die sprachliche Barriere ein guter Hemmschuh sein kann, der verhindert, dass man allzu leicht über das Ziel hinaus schießt, denn »dumme Kuh«, »blöde Tussi« und »dämliche Anmache« gehören nun einmal nicht zu Schillers Wortschatz, wären auch sicherlich heute – bei Berücksichtigung des jeweiligen, individuellen Hintergrundes - in der Sprache der beiden Personen nicht denkbar.

Eine weitere Möglichkeit ist die Reduzierung eines allseits bekannten Textes auf die absolut notwendigen Stichworte. Hier wurde als Vorbild ein Text von Elsa Sophia von Kamphoevener genommen.

So lautet die Geschichte von der Peri und dem Ifrit wörtlich übersetzt aus dem Türkischen:

Zwei Wolken. Darauf einmal Peri, einmal Ifrit. Zusammenkommen verboten, bis menschliche Treue entdeckt, dieses die Strafe. Suchen. Suchen. Warten. Warten. Ein Dichter vielleicht? Eine Schönheit dazu? Man sollte versuchen, wer weiß - es gelingt? Aman, mißlungen. Oder gelungen? Ist ein Gedicht Treue? Ist Schönheit Treue? Allah weiß es und jener strafende Genieh von den Wolken. Suchen. Suchen. Warten. Warten. Zeit ist nicht. Warten. Suchen. Und Allah ist gnädig.

Aus: Elsa Sophia von Kamphoevener, An Nachtfeuern der Karawan-Serail, Märchen und Geschichten alttürkischer Nomaden, Band 3

Peri - weiblicher Blumen- und Wassergeist
Ifrit - Luftgeist, ein guter Naturgeist
Genieh - eine Geistform

- Können wir uns unter dieser Geschichte etwas vorstellen?
- Wie könnte der Handlungsablauf der Geschichte aussehen? (Der Text selber bietet alles: die Ausgangssituation – nicht zusammenkommen können - einen Hinweis auf die Vorgeschichte – Strafe für etwas Verbotenes - einen Dreischritt zur Lösung – dreimaliges Suchen - einen immer dringenderen Lösungsbedarf – Zeit ist nicht – und ein schlussendliches Zusammenkommen – Allah ist gnädig.)

- Wie schafft es Kamphoevener eine Geschichte so weit zu reduzieren und dennoch beim Rezipienten eine vorhersehbare Wirkung und Deutung zu erreichen?
- Wie sähe das bei einem Märchen der Brüder Grimm, z.B. Das tapfere Schneiderlein aus?

Mit solch einer Übung kann das Zusammenspiel von sprachlichem Impuls und eigener, (un)bewusster Phantasie und Kreativität zumindest ansatzweise deutlich gemacht werden.

Der nächste Schritt - wieder im Bereich Märchen - kann das Fertigstellen eines Märchentextes sein.

Beispiel:

Es war einmal ein kleines, beschauliches Städtchen, das lag am Rande eines hohen Berges. Rings um das Städtchen hatten die Bürger eine Stadtmauer gebaut, und wer hinaus oder hinein wollte, musste durch eines der vier großen Stadttore gehen, die nachts fest verschlossen waren. Rings um die Stadt lagen Wiesen und Felder, auf denen das Korn wuchs und die Kühe weideten. Die Menschen in der Stadt und die Bauern vor der Stadt lebten in Frieden und Eintracht und hatten ihr geregeltes Auskommen. Eines Tages wurde dies schöne Leben jedoch jäh zerstört. Von weit hinter dem hohen Berg kam ein Riese des Wegs und als er die fetten Kühe und Ochsen sah, beschloss er hier zu bleiben und sich zu nehmen, was er brauchte. Die Menschen in ihrer Angst ließen ihn gewähren und sagten nichts, wenn er sich jeden Tag eine Kuh oder einen Ochsen von den Weiden holte, sie sich unter den Arm klemmte und in seine neue Behausung, die er sich auf dem Berg errichtet hatte, schleppte. Das war ein Leben ganz nach Riesenart und da ihm niemand Einhalt gebot, wurde er immer übermütiger. Schon nach kurzer Zeit verlangte er, dass jede Woche ein Fass Wein für ihn vor den Stadtmauern bereitstünde und die Ochsen wollte er auch nicht mehr selber fangen, nein, die mussten ihm die Bauern an einem großen Baum früh am Morgen anbinden. Ja, und vor Feiertagen wollte er neue Kleider und Schuhe sowie einen großen Sack voll Tabak für seine Pfeife.
     So ging es tagein, tagaus, jahrein, jahraus, bis zuletzt niemand mehr selber satt wurde, die schönen Kleider der Stadtleute in Fetzen herunterhingen, verbrauchte der Riese doch alles für sich und trieb aus Angst vor ihm niemand mehr Handel mit ihnen, wie es früher gewesen war. Da berief eines abends der Bürgermeister die Honoratioren der Stadt zu einer Besprechung in den goldenen Bären. Und sie kamen alle, der Apotheker, der die wirksamsten Säfte und Tinkturen zu mischen verstand, der Schneider, der so feine Nähte nähen konnte, dass nicht einmal die Frau des Bürgermeisters etwas auszusetzen fand. Dann waren da noch der Schmied, der nicht nur die Pferde beschlug, und Äxte und Pflugscharen reparierte, sondern der auch die schönen großen Fässer fertigte, in denen der Wein gekeltert wurde, sowie der Kaufmann, der am lautesten jammerte, musste er doch seine Waren ohne Bezahlung dem Riesen zur Verfügung stellen. Ganz unten am Tisch saßen der Schulmeister und der Wirt, der sich freute, dass sein Gasthaus endlich einmal wieder voll war, vermisste er doch die fahrenden Händler und die Bauern, die nach der Heuernte bei ihm ihren Durst stillten, sehr. Nun saßen sie da zusammen und diskutierten, was zu tun sei. Die kühnsten Pläne wurden geschmiedet und wieder verworfen. Schließlich, als bei allen nicht nur die Pfeifen, sondern auch die Köpfe rauchten, schlug der Schmied mit seiner mächtigen Faust auf den Tisch. »So geht es nicht weiter. Wir reden und reden, derweil unser Vieh abnimmt und Scheune und Keller immer leerer werden. Wir müssen endlich etwas unternehmen«, rief er mit dröhnender Stimme, während alle anderen heftig nickten. »Mit Gewalt können wir wohl kaum etwas gegen den Riesen ausrichten«, meldete sich der schmächtige Schulmeister zu Wort, »aber vielleicht - ich habe da einmal etwas gelesen ....«. »Du mit deinen Büchern«, fiel ihm der Bürgermeister ins Wort und die anderen lachten bei dem Gedanken, den Schulmeister im Zweikampf mit dem Riesen zu sehen.
     Wieder verfielen alle in brütendes Schweigen. Plötzlich sprang einer auf und rief: »Ich glaube ich habe es! Ja, so könnte es gehen.« Es war der ....

Aufgabe ist es, das Märchen zu vervollständigen. Vorbedingung ist natürlich, dass man Struktur, Personengestaltung und Handlungsführung von Märchen vorher erarbeitet hat. Wobei anzumerken ist, dass die Behandlung von Märchen nicht nur auf die Unterstufe beschränkt sein muss.

Mit solchen oder ähnlichen Vorübungen können wichtige Schritte zum kreativen Schreiben nach literarischer Vorlage eingeübt werden.

Kreatives Schreiben und literarische Vorlage

Vorgabe Bearbeitung innerhalb der Vorlage Bearbeitung außerhalb der Vorlage
Zeit innerhalb der erzählten Zeit außerhalb der erzählten Zeit
Ort im Original vorkommender Ort neuer Ort
Erzählperspektive wie im Original Perspektivwechsel
Personen zu welchem Zeitpunkt, an welchem Entwicklungs-/Kenntnisstand
Personenkonstellation abhängig von der Vorlage auf Grund einer Weiterentwicklung
Konflikte/Themen innerhalb der erzählten Zeit vor/nach der erzählten Zeit

Die Schwerpunkte bei der eigenen kreativen Tätigkeit hängen stark von der literarischen Vorgabe und der Aufgabenstellung ab.

Zeit: Muss der eigene Teil in den Handlungsablauf eingebaut werden? Innerhalb der erzählten Zeit: Was darf geschehen, so das es sich immer noch logisch und stringent in den Handlungsablauf einfügt? Wie denken, handeln, fühlen die Personen in Anbetracht des bisherigen und des folgenden Geschehens? Vor der erzählten Zeit: Wie sind die Personen zum vorgegebenen Zeitpunkt? Wie kann nahtlos in den vorgegebenen Text übergeleitet werden? Wie ist die Konfliktsituation/Personenkonstellation zum gegebenen Zeitpunkt? Nach der erzählten Zeit: Wie kann die Handlung in sich logisch fortgeführt werden? Wie handeln, denken, fühlen die beteiligten Personen auf Grund des vorangegangenen Geschehens?

Ort: Originalort: Wie wird der Ort im Original geschildert? Welche Funktion hat er in dem eigenen Teil? Wie empfindet, sieht die Perspektivgestalt den Ort zu diesem Zeitpunkt? Welche Ortscharakteristika sind von besonderer Bedeutung? Eigener fiktiver Ort: Passt der Ort zum Handlungsablauf a) insgesamt, b) dem eigenen Teil? Passt der Ort zu der Konfliktsituation, den Personen? Wie wird der Ort von den beteiligten Personen empfunden? Wie wirkt er sich auf die Handlung aus?

Erzählperspektive: Wie im Original: Was sieht, weiß ... der Erzähler? Wie erzählt er? Sprache, Stil der Perspektivgestalt bzw. des auktorialen Erzählers? Persepktivwechsel: Was sieht, weiß ... die Perspektivgestalt? Wie erzählt, empfindet sie? Sprache, Stil der Perspektivgestalt auf Grund der m Original vorgegebenen Charakteristik.

Personen: Wie sind die Personen im Original charakterisiert? Wie fühlen, denken, handeln, sprechen sie? An welchem Entwicklungsstand befinden sie sich? Welche Ziele verfolgen sie, welche Motive haben sie? Wie läuft die Entwicklung weiter? Wie reagieren sie auf andere Personen und wie werden sie von anderen gesehen? Welche Situationen, Orte, Handlungsabläufe sind für sie typisch? Wie reagieren sie auf und an bestimmten Orten, in bestimmten Situationen?

Personenkonstellation: Verhältnis der Personen zueinander, Abneigung, Zuneigung, Konflikte, gegenseitiger Umgang, ... - abhängig vom Zeitpunkt in der Erzählzeit. Wie ist die Konstellation zum gegebenen Zeitpunkt und innerhalb der vorgegebenen Situation?

Konflikte: abhängig vom Zeitpunkt in der Erzählzeit. Wie weit ist der Konflikt entwickelt, vorangetrieben? Wie sieht er genau zum gegebenen Zeitpunkt aus? Wie kann er im vorgegebenen Rahmen weiter entwickelt werden?

Man sieht, wie engmaschig das Netz der Vorgaben ist und wie sehr man aufpassen muss es einerseits nicht zu zerreißen und sich andererseits aber auch nicht völlig einschnüren zu lassen. Vor allem ist zunächst der genaue Textbefund wichtig. Im nächsten Schritt ist die Aufgabenstellung genau zu analysieren, damit Textbefund und Aufgabenstellung in Übereinklang gebracht werden können.

Grundsätzlich gilt eine enge Bindung an das Original in Bezug auf
ð Erzählperspektive
ð Stil
ð Personen und ihre Eigenschaften, Denk- und Handlungsweisen
ð Konflikte, Themenbereich(e)

die kreative Freiheit besteht hauptsächlich in

ð Ausgestaltung einer neuen/geänderten Situation/Konstellation
ð einem Zeitsprung aus dem Originalgeschehen heraus
ð einer veränderten Situation
ð einer veränderten Personenkonstellation
ð einer neu hinzugefügten Person

Wichtig: die eigene kreative Gestaltung muss sich harmonisch, organisch und logisch in das Original einfügen

Beispiele für Aufgabenstellungen:

Sophokles: König Ödipus

Auf dem Weg in die Verbannung trifft Ödipus auf den Seher.

Seher: Bist du das, Ödipus, der tastend sich den Weg erschleicht?
Ödipus: Ich bin’s. Ödipus. Blind nun wie auch du.

Schreiben Sie den Dialog weiter. Vergessen Sie bitte auch die Regieanweisungen nicht.

Dürrenmatt: Besuch der alten Dame

Nach Ende Akt II (Bahnhof) ist Ill aus dem Bahnhof geflüchtet. In einer Übergangsszene zu Akt III befindet er sich im Konradsweilerwald, wo er versucht mit sich selber ins Reine zu kommen. Schreiben Sie die Szene. Bitte Regieanweisungen nicht vergessen.

oder:

Ein Jahr ist vergangen. Güllen ist wieder eine blühende Industrie- und Kulturstadt. Es ist ein schwüler Sommertag, an dem ein Denkmal auf dem Marktplatz eingeweiht werden soll. Es zeigt Frau Claire Zachanassian (überlebensgroß) und Alfred Ill (bedeutend kleiner). Die Inschrift lautet: »Per aspera ad astra« [wörtlich: auf rauhen Wegen zu den Sternen] (darunter klein die – falsche Übersetzung – des örtlichen Deutschlehrers: »Durch Leiden zum Erfolg«) oder so ähnlich. Bei der Denkmalseinweihung sind anwesend: der Bürgermeister, der Arzt, der Pfarrer, der Lehrer, der Turner, Frau Ill und ihre Kinder, der Metzger, der Maler, Bürger 1, 2, 3, 4 sowie Frau Zachanassian mit neuem Ehemann und ihrer Begleitung. Vorgesehen sind eine Rede des Bürgermeisters, eine ganz kurze Rede des Pfarrers mit Segnung des Denkmals und eine Rede von Frau Zachanassian. Schreibe die Szene. Die zusätzlich aufgeführten Personen können, müssen aber nicht eingebaut werden. Bitte Regieanweisungen nicht vergessen.

Schiller: Maria Stuart

Akt V Vor der Hinrichtung
Maria Stuart hat soeben die Sakramente empfangen und erwartet ihre Hinrichtung.
Es kommen Burleigh und Leicester, die Elisabeth mit der Überwachung der Hinrichtung betraut hat.
Maria Stuart eröffnet den Dialog mit folgenden Worten:

Maria Stuart (erstaunt beim Anblick Leicesters): Sie hier, jeden anderen hätte ich erwartet - nur nicht Sie!

Schreiben Sie den Dialog. Regieanweisungen bitte nicht vergessen.

oder:

Maria Stuart ist tot. Sie steht an der Himmelspforte und wartet auf Einlass. Da Petrus unschlüssig ist, wittert Luzifer eine Chance, Maria Stuart für die Hölle zu bekommen. Entwickle einen Dialog zwischen den drei beteiligten Personen. Weitere Personen, die im Originalstück auftreten oder erwähnt werden, dürfen hinzugezogen werden.

Dieses Thema löste zunächst ungläubiges Staunen und dann Heiterkeit aus. Im Laufe des Schreibens merkten die Schülerinnen und Schüler dann, dass es gar nicht so einfach ist, sich mit der Frage nach Schuld und Sühne im moralischen Sinne auseinanderzusetzen.

Bewertung

Gerade bei kreativem Schreiben schreckt man als Unterrichtende(r) zunächst vor der Bewertung zurück, da man meint, es fehlten einem die »objektiven« Maßstäbe. Auch Schülerinnen und Schüler reagieren zunächst naturgemäß genau so. Dabei ist die »objektive« Messlatte genaus so lang und genau wie bei einem Erörterungsaufsatz oder einer Gedichtinterpretation.

Beim normierten Schreiben ist das erste Kriterium die äußere Form, das Layout des Schreibens. Sind die Ränder gewahrt, sind Anschrift, Absender, Datum etc. korrekt platziert? Stimmen Anrede und Grußformel. Ist ein Anlagenhinweis vorhanden, wenn er notwendig ist? Ist die sprachliche Formulierung dem Inhalt und dem Adressaten angemessen? Ist das Schreiben ansprechend aufgebaut, so dass es aufmerksam und mit wachsendem Interesse/Wohlwollen gelesen wird? Stimmen Satzbau, Rechtschreibung, Zeichensetzung und eventuelle termini technici? Sind - wo angebracht - hidden persuaders eingebaut? Sind Aussage und Intention klar zu ersehen?
All dies ist »objektiv« feststellbar und in einer eventuell notwendigen Bewertungsskala - da Klassenaufsatz - leicht und nachvollziehbar zu erfassen, v.a. wenn man die Schwerpunkte der Bewertung - äußere Form, Inhalt, sprachliche Gestaltung - vorher eingeübt und bekannt gegeben hat.

Auch beim freien kreativen Schreiben kann der Bewertungsmaßstab nachvollziehbar gestaltet werden. Sind bei einem Zeitungsartikel - ganz gleich ob Bericht, Reportage oder Glosse - die (vorgegebenen) relevanten Fakten berücksichtigt worden? Sind die Regeln des Artikelaufbaus und die sprachlichen Anforderungen erfüllt? Ist bei einem Märchen der Dreischritt auf dem Weg zur Lösung vorhanden? Ist die Sprache der Aufgabenstellung angemessen? Werden die Personen entsprechend ihrer Vorgaben eingesetzt und genützt? Wie wird die Konfliktlösung erreicht? Wird bei einem Gedicht die entsprechende Atmosphäre geschaffen? Werden Vergleiche, Metaphern, Personifikation etc. eingesetzt? Stimmt der Strophenaufbau? Sind »Schlüssel« zur Deutung des Gedichts vorhanden? Sind Bilder und Stimmung stringend? Auch hier ist eine genaue Aufgabenstellung wichtig, damit bei einem Herbstgedicht nicht das folgende herauskommt:

Herbst

Grauer Himmel, erstickt die Sonne,
Fallendes Laub, verdeckt die Natur,
Tränen überströmen mein Gesicht

Wobei auch hier wieder obejektiv eingesetzt werden kann: das Bild vom die Sonne erstickenden grauen Himmel ist falsch. Laub ist Teil der Natur, kann diese also nicht verdecken.

Beim kreativen Schreiben nach einer literarischen Vorlage gilt es zunächst zu überprüfen, inwieweit die vielfältigen Vorgaben der Vorlage erkannt und umgesetzt wurden. Erst dann kann eine Bewertung der eigenen kreativen Tätigkeit erfolgen, bei der sprachliche Gestaltung, Aufnahme vorgegebener Momente und eigene Kreativität ausschlaggebend sein dürften.

Nach meiner eigenen Erfahrung ist die offene und kritische Besprechung von Übungsarbeiten hier mehr als hilfreich und nimmt weitgehend allen Zündstoff aus der Berwertung heraus, da die Schülerinnen und Schüler dann genau wissen, worauf Wert gelegt wird, was erlaubt ist, wie weit sie gehen können und wie groß - oder klein - der Bewertungsspielraum zwischen einer handwerklich gut gelösten Aufgabe und einer »kreativ freischwebenden« Lösung ist um zwei Extreme zu nennen.


Verfassen Sie einen Geschäftsbrief nach folgenden Stichworten:

Während einer Geschäftsreise durch die USA wollen Sie auch die Firma Complan in Detroit besuchen, um über eine engere Zusammenarbeit zu sprechen.

Ankunft 10. September 9:30 mit LH 482. Anfrage, ob am 10. und 11. Gespräche in der Firma stattfinden können. Falls ja, bitte um Hotelreservierung für 2 Nächte, Weiterflug am 12., späterer Vormittag. Vorsichtige Anfrage, ob Sie am Flughafen abgeholt werden können.

Gesprächsthemen:

- Probleme mit der neuen CAD-Software – Umrechnungsfehler inch -> metrisches Maß
- Möglichkeiten einer CAD-Version für Europa?
- Aufbau einer gemeinsamen Produktion in einem europäischen Billiglohnland -> Vorteil: keine lange Seefracht, geringere Frachtkosten1, höherer Profit für beide Partner
- Austausch von Mitarbeitern

Falls Partner weitere Themenvorschläge, Bitte um kurze Mitteilung.

Freuen sich auf Antwort und Treffen im September.

Gruß
Thilo Schmidt
Technischer Leiter

1 Frachtkosten – freight charges

Anzumerken ist, dass zu Beginn des Schuljahres ein Einheit über Britanniens Wirtschaft im Wandel der Zeit und im internationalen Wettbewerb stand und der Klausur eine Einheit über Wirtschaftsenglisch vorausging.

Als Beispiel möge hier ein Auszug aus einem Artikel des L'Est Républicain vom 16. August 1999 dienen

Un bus suisse se renverse sur L'A4 dans la Meuse: 13 blessés légers

Verdun. - Il est un peu plus de 9 h 30 hier. Un autocar, qui ramène des Suisses d'un voyage en Ecosse, roule tranquillement sur l'autoroute. Le chaffeur est même en avance sur l'horaire, et les passagers admirent le paysage, en pensant qu'ils seront chez eux en début de soirée.
     Soudain, pour une raison que lenquête de gendarmerie s'efforcera de déterminer par l'audition des témoins, un véhicule immatriculé dans la région parisienne et conduit par M. Radovan Zaric dépasse le bus et effectue plusieurs tête-à-queue, avant de s'immobiliser au milieu de la chaussée. [...]
     Touché à la direction, l'autocar, qui appartient aux transports Bossart de Zurich et qui est conduit par M. Marcus Gotsch, 39 ans, dévale la pente en s'appuyant contre les glissières de sécurité. [...] Le pire a été évité.
     L'alerte est alors donnée, et les secours arriveront sur les lieux rapidement. [...]